Willkommen im Vier-Zimmer-Hotel
Rund 120.000 Berufsfahrer schlafen an jedem Werktag in Deutschland in ihren Lastwagen. Tausende sehen ihre Familien selbst am Wochenende nicht. Damit sie wenigstens einmal in der Woche vom Lkw wegkommen, hat die EU 2020 das sogenannte Mobilitätspaket verabschiedet, laut dem Langstreckenfahrer einmal pro Woche für 45 Stunden ihr Fahrzeug verlassen müssen. Das Düsseldorfer Start-up Roatel bietet nun genau dafür Übernachtungen an.
Matthias Willenberger fährt seit 15 Jahren Lkw. Die EU-Regelung, einmal wöchentlich eine durchgehende Ruhezeit außerhalb des Fahrzeugs zu verbringen, weil sonst Bußgelder drohen, findet der 48Jährige sinnvoll. „Der EU ging es vor allem darum, für die Osteuropaer etwas zu erreichen, die unter teils menschenunwürdigen Umständen monatelang in Europa unterwegs sind." Voraussetzung sei aber, dass die Einhaltung der Regeln kontrolliert werde, so der Fernfahrer.
Willenberger ist im Fernverkehr auch schon mal bis Spanien unterwegs. „Wenn man dort im Sommer bei 30 bis 40 Grad Hitze versucht, tagsüber zu schlafen, wünscht man sich ein klimatisiertes Zimmer. • Heute nutzt er seine Wochenpause von 45 Stunden für einen Roatel-Test im Bremer Güterverkehrszentrum. Der Geschäftsführer Christian Theisen hilft beim Check-in Smartphone: „Da fehlt noch das Geburtsdatum und dann Oben auf Check-in tippen. Dann bekommst du den elektronischen Zimmerschlüssel und kannst damit zur Tür gehen." Willenberger tritt vor die schwere Zimmertür — ein grünes Lichtzeichen signalisiert, dass er eire treten kann. Im Normalfall übernachtet man hier, ohne überhaupt einem Roatel Mitarbeiter zu begegnen. Eingecheckt werden kann ab 15 Uhr, abreisen sollten die Fahrer bis elf Uhr morgens.
WIE EIN NORMALES HOTEL Einige Formalien des Hotelgewerbes gelten auch im Roatel — etwa die meldung, nur dass eine App anstelle des Concierge alles Nötige abfragt. Roatel-Chef Theisen: „Wir haben alles so einfach wie möglich gestattet. Aber es müssen natürlich Meldedaten angegeben werden. Und wir benötigen gaben zum Arbeitgeber." Denn nach gesetzlicher Vorgabe muss Letzterer die 49 Euro pro Nacht übernehmen, die Roatel aufruft.
130.000 Euro kostete der Umbau der bei. den gebrauchten Überseecontainer in je zwei schicke Miniapartments mit 90-mal 200 Zentimeter Bett und praktischer Ausstattung. Matthias Willenberger hat seine Tasche abgestellt und inspiziert die klimatisierte 7,3-Quadratmeter Unterkunft mit Schallschutz und Rollläden. "Ich habe hier meinen eigenen Raum mit Dusche, Toilette, einem kleinen Tisch und einem Bett, dazu Satellitenfernsehen, WLAN und eine LISBSteckdose - alles gut", schildert der Fahrer seinen ersten Eindruck.
ROATEL BESETZT MARKTNISCHE
Das blitzsaubere Zimmer steht in krassem Kontrast zur Szenerie vor der Tür: Auf dem Rastplatz verbringen einige Fahrer aus Osteuropa ihre Wochenpause campend neben ihren Wagen. Ein Pole versucht seine handgewaschenen Hosen im Sturmwind unter hochgestellter Motorhaube zu trocknen. Die Männer sind fröhlich, sie winken aber ab, als Christian Theisen sie zu einer kostenlosen Probenacht im Roatel überreden will. Ein Russe lässt sich schließlich überzeugen. „Supergut,“ sagt er und reckt den Daumen hoch. Das Roatel-onlineportal auf seinem Handy hat ihm auf Russisch erklärt, wie er mal vergleichsweise komfortabel übernachten könnte. In acht Sprachen preist Roatel sein Angebot an, bald sollen es zwölf sein.
Nebenan im Backhaus Meyer-Ehlers ist der Szeneblogeer Christian Rumpf zu seinem Roatel rest angekommen. Seit Mitte der goer-Jahre fährt er Lastwagen „aus Leidenschaft" _ Rumpf ahnt, dass es ohne Kontrollen noch lange dauern wird, bis die Fahrer zur Wochenendpause ihr Lkw-Heim verlassen. „Die Ruhezeiten pflicht außerhalb der Kabine ist zwar schon da, aber ein Fernfahrer bleibt trotzdem heber in den eigenen vier Wänden, wo er alles hat. Zudem hat er Angst, dass seine Karre geklaut wird." Gesetze setzten sich halt nicht sofort durch, so Christian Rumpf (www.christiansblog.eu), und Theisen nickt zustimmend. Roatel will da sein, wenn sich die EU-Regeln durchsetzen werden. „Wir sehen uns als Pionier," sagt Theisen, der diese Marktnische mit zuerst besetzen will.
Bis Ende 2022 sollen Berufsfahrer an 30 Standorten in Deutschland vom Lkw in den Container ziehen können. Danach sollen pro Monat bis zu zwölf neue Roatels hinzukommen, vornehmlich in Gewerbegebieten und auf Rastplätzen. so erübrigt sich dann meist auch die Frage nach einem Parkplatz. Sollte die Idee boomen, ist ein Ausbau jederzeit möglich. „Auch in die Höhe", so Theisen. Doch das sei Zukunftsmusik. Zunächst müsse das neue Übernachtungskonzept publik werden, um die finanziell nötige Auslastung von 80 Prozent zu erreichen.
Als Theisen sich verabschiedet, winken Willenberger und Rumpf noch einmal von den Türen ihrer Roatel• Unterkunft — und lassen dann schnell die Rollläden runter, um die ungemütlich-stürmische Welt da draußen für ein paar Stunden Zu vergessen und die Nacht zu genießen.
Quelle: roatel